50 Minuten in den Armen eines fremden Mannes: Ein Luzerner nennt sich seit neuestem Profikuschler. Ich wollte wissen, wie professionelles Kuscheln geht – und wagte den Selbstversuch. Kleiner Spoiler: Es wird auch mein letztes Mal sein.
Text: Isabelle Dahinden
Symbolbild: Unsplash/Priscilla du Preez
publiziert am 02.11.2019 auf zentralplus
Ich habs tatsächlich getan: Ich war beim Profikuschler.
Das klingt bestimmt schräg. Ist es auch. Es ist so ziemlich sicher das Schrägste, was ich bisher in meinem Leben getan habe.
Als ich in einer Redaktionssitzung vorschlug, den ersten Profikuschler Luzerns zu interviewen, hiess es: Ein Selbstversuch wäre doch interessant.
Wärs, ja. Aber ich? Ich kenne den ja nicht. Und sowieso: Dem Kuscheln wird die ganze Romantik genommen. Es geht nur noch ums Berühren. Und das mit einem Wildfremden … Kann ich das überhaupt? Ich, Single, aber alles andere als verzweifelt.
Noch nie wollte ich mein Glück von jemandem abhängig machen – schon gar nicht von einer Beziehung, einem Mann. Und ich mag es überhaupt nicht, wenn mich mal jemand «einfach so» anfasst. Geschweige denn ein fremder Mann. Und dann kuscheln?
Der Kuschelvertrag im Mail-Posteingang
Auch die drei Gläser Rotwein bei meiner Freundin trugen nicht zur Euphorie bei. Schon gar nicht ihre Aussage, «tu doch nicht so verkrampft.»
Doch aus einer Schnapsidee wurde ernst, das mulmige Gefühl blieb, die Neugierde wuchs. Also griff ich – eineinhalb Monate nachdem die E-Mail des Profikuschlers unbeantwortet in meinem E-Mail-Posteingang geschlummert hatte – zum Telefonhörer. Termin gebucht. Jubel, Trubel, Heiterkeit.
Tage später ploppt eine neue E-Mail auf. Betreff: Kuschel-Versuch. Im Anhang finde ich einen zweiseitigen Kuschelvertrag (den gibts wirklich). Da stehen die goldenen elf Regeln des «professionellen Kuschelns». Doch dazu später mehr.
Nach meinen Regeln
Mittwoch, 13 Uhr, sonniger Herbsttag. Nervös gehe ich die Maihofhalde hoch, rauf zum Ort des Geschehens. Zähne, frisch geputzt. Haare, ausnahmsweise gebürstet und gebändigt. Fast wie bei einem Date. Nur, dass es eben keines ist. Und: Pullover, hochgeschlossen bis zum Hals. Der Rollkragen-Pullover war mir dann aber doch etwas too much.
Markus Mühlbacher, Profikuschler, Mitte 50, öffnet die Tür. Weite Hose, Glatze, runde Brille.
Schnell ist man beim Du, Markus führt mich ins Zimmer. Mandalatuch an der Wand, Elektro-Kerzen, richtige Kerzen, Kissen. Matratze. Duftkerzen.
Markus fragt mich, ob ich nervös bin. Ich lache. Lauter als ich vermutlich wollte. «Schräg ist es ja schon, das alles hier», sage ich, während ich meinen Blick durchs Zimmer schweifen lasse. Es folgt ein wenig Smalltalk. Markus wirkt sympathisch, macht einen professionellen Eindruck.
Dann zeigt er mir den Kuschelvertrag. Die Kleidung bleibt immer an, die Hände gehen nicht darunter. Busen, Intimzone ist absolut tabu, keine Küsse. Keine Berührungen, die nicht absichtslos sind.
Dann kommt meine Liste: Nicht soo eng beieinander, kein Streicheln. Kein Vollkontakt. Oh Gott! Ich kann nicht so mit Fremden, ohne Gefühle, so nah. Für mich ist das ein Novum. Ich bevorzuge das Light-Kuscheln. Besser noch: Light-Umarmen für einen absoluten Schisshasen wie mich, kumpelhaft den Arm umeinanderlegen. Mit viel Abstand. Unten- und obenrum.
Mental die Einkaufsliste durchgerattert
Dann beginnt die Kuschelsession. Wir stehen auf, nehmen uns an den Händen. Schliessen die Augen. Meine Hände, schwizig, seine nicht. Gott, bin ich nervös. Fremde Hand in meiner, komisches Gefühl. Normalerweise schüttelt man fremden Menschen nur kurz die Hand.
Wir setzen uns. Eine Session dauert 60 Minuten, davon wird 50 Minuten gekuschelt. Ich vor ihm, er hinter mir, legt er seine Arme um meine. «Mamabär» nennt sich diese Kuschelposition, wie ich aus Youtube-Videos weiss. Die Vorrecherche habe ich schliesslich gewissenhaft erledigt. Ich schliesse die Augen, versuche mich zu entspannen. Fremder Atem im Nacken, ein Seufzer von ihm. Oh je. Was tu ich hier? Meine Arme und Hände halte ich bei mir. Ihn ja nicht irgendwo berühren.
Salat, Quinoa, Tomaten, Zitronen. Mein Kopf rattert, zu Hause ist der Kühlschrank leer – in meinen Gedanken schreibe ich meine Einkaufsliste. Kartoffeln, Milch. Ich soll tief durchatmen, mich entspannen, höre ich Markus sagen. Also versuche ich das, lausche der leisen Meditationsmusik im Hintergrund. Verflucht, wieso rieche ich diese Duftkerzen nicht? Ein betörender Duft, der meine Hirnzellen betäuben könnte?
Es ist schräg – und bleibt auch so
Positionswechsel. Mein Kopf auf seiner Brust, er seinen rechten Arm um mich. Markus riecht frisch geduscht nach Shampoo. Der Smalltalk ist vorbei. Jetzt kommen die heiklen Fragen. Wie so meine Erfahrungen mit Männern gewesen seien. Bingo, denke ich mir. Gab es den einen, der mich wohl doch mehr verletzt hat, als ich zugeben mag. Ein mulmiges Gefühl, ausweichende Antwort, eine Träne schiesst mir in die Augen. Das Gedankenkarussell dreht sich unbeirrt weiter.
Themenwechsel – und Positionswechsel (ich löffle ihn – mach ich das gerade wirklich?) Liebes Mami, lieber Papi: Falls ihr das hier lest: Untenrum ist echt viel Abstand zwischen uns.
Markus erzählt mir, wie er nicht aufs Kuscheln verzichten könnte. Ich schon. Wenn’s eben keinen tollen Mann gibt, ists halt so. Mir fehlt nichts. Mehr Platz für mich im Bett.
Erneuter Positionswechsel – und letzter! Ich sage ihm, dass ich das immer noch total schräg finde. Die Minuten verstreichen, das Gefühl wird nicht weniger seltsam. Die 45 Minuten sind abgelaufen, der Timer klingelt (noch nie habe ich einen Wecker so sehr geliebt).
Wir entkuscheln uns. Erleichtert löse ich mich aus seinem Arm, richte mich auf.
Wo sind jetzt diese Glückshormone?
Befreit, super happy – da voller Oxytocin – fühle ich mich nach getaner Kuschelsession nicht. Eher verwirrt – dank meines Gedanken-Karussells, der einen Träne wegen dieses einen Mannes aus vergangenen Zeiten. Teilweise stelle ich mir schon gar die Frage, ob ich irgendwie gefühlsbetäubt bin, wenn ich abblocke, sobald ich merke, dass ich jemanden gern bekomme. Hätte ich mich bei der Kuschelsession mehr öffnen können, hätte ich vielleicht auch davon erzählt (was ja guttut, heisst es).
Ich fühle mich halb verkrampft, halb entspannt. Entspannt, weil ich immerhin einige Minuten abschalten konnte – nachdem ich das ganze Gedanken-Karussell hatte stoppen können.
Verkrampft, weil es irgendwie doch anstrengend war, angespannt 50 Minuten neben einem fremden Mann zu liegen. Markus war nicht aufdringlich, er respektierte meine Grenzen. Er akzeptierte mich so, wie ich bin. Wir lachten viel. Dennoch erschien es mir fremd, nicht richtig und mir war nicht wohl, in den Armen eines fremden Mannes zu liegen. Ein zweites Mal würde ich das nicht tun, aber das liegt an mir (als ob ich das nicht schon vorher gewusst hätte).
Trotz allem gehe ich gestärkt aus der Kuschelsession: Ich merke einmal mehr, wie wichtig es ist, seine eigenen Grenzen zu kennen, zu wissen, was einem guttut, was nicht. Und das auch offen zu sagen.