Neulich beim Frauenarzt

Regelmässig gebe ich für zentralplus in einer Kolumne persönliche Einblicke in mein Leben – und meinen komplizierten Alltag. Heute geht es über meinen Besuch beim Frauenarzt und eine unangenehme Diagnose.

Text: Isabelle Dahinden
Bild: Mike Bislin
publiziert am 01.05.2021 auf zentralplus

Neulich bei der Frauenärztin, bin mich grade untenrum am «frei machen». As usual drängt sich dann die Socken-Frage auf: Behalte ich die an, ziehe ich sie aus? Ohne Socken, zu nackig. Zu kalt. Mit Socken, irgendwie halbpatzig und nerdig.

Schliesslich setze ich mich – besockt – auf den Stuhl. Ich – verkrampft, Schweissperlen auf der Stirn – die Ärztin, strenger Blick – hantiert … herum. Träufelt irgendwelche Dinge in mich rein. Jod, Essigsäure und so.

Wochen zuvor habe ich bereits ihre Diagnose erhalten: HPV, humanes Papillomavirus. Eine leichte, harmlose Zellveränderung. Alles easy, also. Trotzdem war das Drama pur für mich. Und Grund genug, mich durch dutzende Internetseiten durchzuklicken, meine Freundesclique zuzutexten, mich morgens beim Café, mittags beim Schnitzwasser und abends beim Wein zu fragen: Warum ich? Beim Kakteen giessen, beim Origami basteln, beim Friedhofsbesuch – von wem? Und: Muss ich das jetzt anderen beichten?

Meine Ärztin erklärte es mir in ihrem charmanten, französischen Akzent so: «Ich habe HPV, ihre Mutter hat HPV – und Sie. Alle haben HPV.» Wie oft sagt sie das wohl am Tag? Vielleicht so zirka 77 Mal. Vielleicht auch 78 Mal. Mindestens. HPV, eine Volksseuche – gehört zum Leben, wie die verstopfte Toilette im Club. Der einzige Ausweg: zö-li-ba-tär leben. Zölibatär: Ich geb’s zu: Ich musste es googeln. Ist das nicht so ein Papst-Ding?

Sexuelle Abstinenz also. Enthaltsamkeit. In der Löffelchenstellung einschlafen, in der Löffelchenstellung aufwachen. Vorher angezogen, nachher angezogen. Dazwischen. Auch die Socken behalt ich an. Sex: böse, böse, böse! Kein Zwinkern, kein Swipen, keine Dates, keine Paarungstänze mehr. Future me, einsames Häuschen am See mit fünf Katzen. Vielleicht sogar sechs.

Ach, vielleicht stimmt diese Schwimmbadbeckenrandtheorie ja doch. Dass sich das HPV durch das Wasser in mich hineingekämpft hat. Vielleicht ist es ja auch einfach vom Himmel gefallen. In meine Vagina. Klassische magnetische Anziehungskraft quasi.

Semigut getan hat mir die Bilanz in meinem Freundeskreis beim Feierabendbier, beim Salü um die Ecke. Wir sprachen darüber, «was gerade so abgeht»: Chlamydien, Pilz, Genitalherpes. Mit HPV bin ich die Einzige. Nicht mal Ingrid, die mit mehr Männern im Bett war als sie exakt sechseinhalb Mal so viele Finger hat.

Ich muss mich wohl mit diesem HPV anfreunden, schliesslich ist er eng mit meiner Vagina. Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. Wir können nicht mit, aber auch nicht ohne einander.

Mit der Zeit wurde er so etwas wie zum Running Gag. Nach meinem Italien-Trip, Sonntagsabenddepression. Ich auf WhatsApp in den Mädels-Chat: «Ferien vorbei. Bin depri.» Brüell-Emoji. Zwei Minuten später: «Und HPV habe ich ja auch noch.» Lach-Emoji.

Oder als die Nachtklubs noch offen hatten und Ingrid auf einen vollbärtigen, gelockten Mann zeigte, um mit Händen, Paarungstänzen und lauter Stimme klarzumachen, dass das ja «vooooooll mein Typ» sei. «Der da? Der hat ja eh HPV.» Die Disco, eine verseuchte, tanzwütige Gemeinschaft. Neben Goanern und Pilzlern tummeln sich HPVler neben Chlamydianerinnen und Trippern. Sie alle lassen ihre Viren und Pilze zu Techno tanzen. Ein Nest voller geschlechtskranker Menschen. Und ich: mittendrin. Dabei. Eine von ihnen.

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